Landau, 9. August 2025. Seit 2009 fordern Umschützer und Wissenschaftler den Humboldt Archipel in Nordchile wirkungsvoll zu schützen. Ebenso lange schlagen die Gemeinden La Higuera und Freirina gestützt auf wissenschaftliche und fachliche Stellungnahmen eine Schutzzone vor. Der Vorschlag wurde auch von den Regionalregierungen Coquimbo und Atacama unterstützt. Drei Präsidenten - Bachelet, Piñera und Boric - haben die „Área de Conservación de Múltiples Usos - ACMU (1) genehmigt. Beim letzten, einstimmigen Beschluss des Ministerrates vom August 2023 wurde in den fachlichen Stellungnahmen auch die Bi-Regionalität des Gebiets – die Zone liegt in den Regionen Coquimbo und Atacama – berücksichtigt. Vorbereitet wurde die Deklaration der Schutzzone mit Workshops und Bürgerbefragungen in den Gemeinden La Higuera und Freirina.
Im November 2023 wurde das Dekret „ACMU Humboldt Archipel“ (1) im Amtsblatt veröffentlicht. Die Meeres- und Küstenschutzzone ist etwa 574.873 Hektar groß und liegt vor den Küsten der Gemeinde Freirina (Region Atacama) sowie der Gemeinden La Higuera und La Serena (Region Coquimbo). Mit der Erklärung sollen Artenvielfalt, Lebensräume, ökologische Prozesse und Ökosystemleistungen dieses besonders wertvollen marinen Ökosystems geschützt werden. Die Erklärung bestimmt nicht nur seltene Meerestiere und Inseln als schützenswert, sondern auch die charakteristischen Meeresauftriebssysteme sowie die handwerkliche Fischerei. Das Dekret legt aber auch fest, dass das Meeresschutzgebiet und der Verwaltungsplan keine Auswirkungen auf freie Schifffahrt und Ankerplätze haben dürfen, soweit diese internationale Verpflichtungen berühren, die Chile eingegangen ist.
Der Status „Meeresschutzzone mit mehrfacher Benutzung“ (1) ist schwach und wird der hervorragenden Bedeutung dieses Ökosystems nicht gerecht. So sind – wie gesagt - Schiffsverkehr, Ankern von Schiffen oder auch Entsalzungsanlagen nicht generell verboten, außerdem behalten bestehende Genehmigungen ihre Gültigkeit. Bei so viel „Offenheit“ sind Konflikte zwischen Umweltschutz und wirtschaftlichen Interessen unvermeidbar, die Gefahr der Zerstörung des Humboldt Archipels ist leider nicht gebannt.
Zuständig für die Verwaltung der Schutzzone und die Erarbeitung eines Managementplanes ist das Umweltministerium. Die Umwelt-Seremis (2) der Regionen Atacama und Coquimbo haben professionelle Berater mit der Gestaltung und Durchführung der Bürgerbeteiligung beauftragt. Im Mai 2025, erst 18 Monate nach Veröffentlichung des Dekrets, wurden Workshops mit Bürgern und Interessengruppen wie Fischern oder touristischen Dienstleistern, mit zuständigen Behörden und betroffenen Wissenschaftlern sowie NGO´s durchgeführt.
Die Deklaration der Meeresschutzzone ist fachlich fundiert und demokratisch legitimiert. Der Schutzstatus reicht, wie erwähnt, nicht aus, um den Humboldt Archipel wirksam vor destruktiven Projekten wie dem Bergbau- und Hafenprojekt „Dominga“ (3) zu schützen. Dennoch meldeten sich im Juni 2025 die Lobbyisten von „Dominga“ erneut zu Wort, beanspruchten für die Mehrheit der Bürger zu sprechen und warfen ortsfremden NGO´s wie Oceana, Greenpeace und FIMA (4) vor, die Gemeinde zu spalten. El Comunal, elektronische Zeitung der Gemeinde La Higuera, zitiert den Präsidenten der „Gemeindevereinigung La Higuera“, Yonathan Rojas, mit den Worten: „Unsere Führung und die meisten Nachbarn wollen Fortschritt, ohne jemals diejenigen anzugreifen, die anders denken. Wir wurden angegriffen und beleidigt, … Wir mussten uns anstrengen, um ein Projekt zu verteidigen, das wir gut kennen, das wir studiert haben und von dem wir wissen, dass es eine echte Chance für die Bewohner unserer Gemeinde ist. (5) Im Gemeinderat von La Higuera diskreditierten die Sympathisanten von „Dominga“ die Beratungen des Managementplanes als intransparent und ohne gesetzliche Grundlage. Sie forderten eine Entschließung des Gemeinderates, um den Beratungsprozess zu stoppen.
Diesen Verstoß beantworteten über zwanzig örtliche Organisationen von Fischern, Landwirten, indigenen Gemeinschaften und Umweltschützern (5) mit einem offenen Brief an die Bürgermeisterin Uberlinda Aquea und den Gemeinderat und forderten, den wirksamen Schutz des Archipel zu unterstützen. Sie wiesen darauf hin, dass die vorgetragene Kritik „ohne ausreichende Informationen, ohne Weitsicht sei und nicht berücksichtige, dass sie (die Kritik) nicht die Meinung von mehr als 50 Prozent der Einwohner der Gemeinde widerspiegeln.“ Das stelle den Beratungsprozess und mehr als 15 Jahre fachliche, wissenschaftliche Arbeit in Frage. Sie erinnerten daran, dass die Schaffung der ACMU (1) von drei aufeinanderfolgenden, politisch unterschiedlichen Regierungen – Bachelet, Piñera und Boric - unterstützt wurde. Das zeige, „dass der Schutz des Humboldt Archipels ein Anliegen des ganzen Landes sei. Die Organisationen erinnerten auch daran, dass die Initiative für den Schutz
1. von Fischerei-, Tourismus- und sozio-ökologischen Organisationen der Gemeinde ausging,
2. in ungewöhnlich vielen Bürgerbeteiligungen und -konsultationen bestätigt wurde und dass der Schutz
3. langfristig Arbeitsplätze von Tausenden u.a. in der Fischerei und im Tourismus sichere. (6)
Die Unterzeichner formulieren eindringlich ihre Sorge: „... die eigenen Gemeindebehörden könnten die enormen Entwicklungschancen nicht erkennen, die ein so einzigartiges und außergewöhnliches Ökosystem wie der Humboldt Archipel bietet. Daher rufen wir unsere Bürgermeisterin und alle Stadträte dazu auf, ihre Bemühungen darauf zu konzentrieren, die Ausarbeitung des Managementplans für das Naturschutzgebiet Humboldt Archipel zu erleichtern und zu unterstützen. (Es komme jetzt darauf an) … zusammenzuarbeiten, um einen Dialog über die gemeinsamen Interessen zu finden. Wir sind überzeugt, dass sie ebenso wie wir eine Gemeinde entwickeln wollen, die ein gerechtes und nachhaltiges Entwicklungsmodell fördert, das auf dem Respekt vor unserem natürlichen und kulturellen Erbe basiert und nicht dessen Selbstzerstörung bedeutet.“ Sie appellierten auch an die Fischer von Totoralillo Norte und Caleta Los Hornos, „über das zu sprechen, was uns verbindet, und dabei an unsere Kinder und an die Menschheit zu denken. Welches Beispiel wollen wir ihnen geben? Welches Leben wollen wir ihnen hinterlassen? Auch sie haben das uneingeschränkte Recht, die Schönheit unserer Gemeinde zu genießen und Väter und Mütter zu haben, die gemeinsam für ein würdiges Leben arbeiten.“ (6)
Die Lobbyisten von „Dominga“ (7) beantworten den Appell an Gemeinwohl und Dialog mit Eskalation und beantragen mit Unterstützung von Senator Mathías Walker (8) und des Abgeordneten Sergio Gahona (9) bei der obersten Kontrollbehörde des Landes die Erarbeitung des Verwaltungsplanes zu stoppen. Mario Flores, Präsident des Fischerverbandes La Higuera Sur, erklärte: „Die Umsetzung dieses Plans hat keine klaren und transparenten Regeln. Aus diesem Grund bitten wir den Rechnungshof, eine umfassende Prüfung einzuleiten und die Bearbeitung (des Managementplanes) sofort einzustellen, bis diese Zweifel vollständig geklärt sind.“ Außer dem Fehlen einer Verordnung für die Erarbeitung des Managementplanes und der angeblich völligen Intransparenz des Beratungsprozess behaupten die Sympathisanten von „Dominga“ auch, dass für die Annahmen von Bedrohungsursachen die fachliche Begründung es fehlte. (7)
Der Antrag ist ohne Aussicht auf Erfolg. Es ist zwar richtig, dass es keine Verordnung für die Erarbeitung des Verwaltungsplanes gibt. Die Lobbyisten von Dominga verschweigen aber, dass in Chile viele Verwaltungspläne von Schutzzonen in Kraft sind, obwohl sie ohne einschlägige Verordnung erarbeitet wurden. Sie erwähnen auch nicht, dass das Umweltministerium laut Dekret - auch ohne Verordnung - verpflichtet ist, einen Verwaltungsplan zu erarbeiten.
Die Narrative der Firma Andes Iron und ihrer Sympathisanten stellen Eigennutz über Gemeinwohl, ersetzen Fakten und wissenschaftliche Erkenntnissen durch Behauptungen und versuchen so, eine nachhaltige und gerechte Entwicklung der Gemeinde La Higuera zu verhindern.
W.K.
Anmerkungen
Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Die im Beitrag verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.
(1) Área de Conservación de Múltiples Usos (ACMU) - Meeresschutzzone mit mehrfacher Benutzung.
(2) Umwelt-Seremi - Secretario ministerial regional de Medio Ambiente - regionaler ministerieller Sekretär für Umwelt. Der Umwelt-Seremi ist die regionale Vertretung des nationalen Umweltministeriums in den Regionen des Landes.
(3) Projekt „Dominga“. Die Firma Andes Iron plant Eisen- und Kupfererz im Tagebau auf dem Gebiet der Gemeinde La Higuera abzubauen. Dazu sollen eine Verarbeitungsanlage, eine Meerwasserentsalzungsanlage, eine Rohrleitung für Schlämme und ein Hafen errichtet werden.
(4) FIMA ist eine gemeinnützige NGO. Die bedeutende Kanzlei für Umweltrecht hat das Ziel, einen Beitrag zur Verteidigung der Umwelt und zur Gesetzgebung in Chile zu leisten.
(5) El Comunal - elektronische Zeitung der Gemeinde La Higuera, 13. Juni 2025.
(6) Offener Brief an Bürgermeisterin und Gemeinderat von La Higuera, Juli 2025.
Zu den unterzeichnenden Organisationen gehören:
- Umweltbewegung Camanchaca, Caleta Los Hornos, - Cultrucción, soziokulturelle und sportliche Organisation Caleta Los Hornos, - Vereinigung Yerba Buena, Caleta Los Hornos, Straße nach Chungungo, - Gewerkschaft der unabhängigen Arbeiter La Cruz de Chungungo, - Berufsverband der Fischer von Chungungo, - Berufsverband der Taucher und Fischer von Caleta Punta de Choros, - Fischereigenossenschaft und Vermarktungsgenossenschaft von Punta de Choros, - Berufsverband der Taucher und handwerklichen Fischer von Los Choros, - Handelsgenossenschaft von Los Choros, - Trinkwasserversorgung APR von Punta de Choros, - Indigene Gemeinschaft Changa Juana Vergara und Familie, Punta de Choros, - Kulturelle und soziale Vereinigung des Volkes der Chango, Punta de Choros, - Organisation für Entwicklung und Förderung des Tourismus – ODEFOT von Punta de Choros 11, - Bewegung zur Verteidigung der Umwelt – Modema, La Higuera, - Indigene Gemeinschaft des Humboldt-Archipels, Punta de Choros, - Vereinigung Víctor Jara, Tänze, Los Choros, - Vereinigung kleiner Landbesitzer von Los Choros,- Trinkwasser für den ländlichen Raum – APR von Los Choros, - Nachbarschaftsverein Nr. 3, Los Choros, - Sportverein La Victoria de Los Choros, - Tomas Sarmiento, Fischer aus Chungungo, - Erika Ahumada, Schatzmeisterin der Vereinigung der Fischer von Bahía Los Choros (mit Beteiligung von Fischern aus Chungungo, Totoralillo Norte, Caleta Los Hornos und Los Choros)
(7) El Comunal - elektronische Zeitung der Gemeinde La Higuera, 21. Juli 2025. Im Artikel werden genannt: der Verband der handwerklichen Fischer von La Higuera, die örtliche Handelskammer und andere soziale und produktive Organisationen der Region Coquimbo.
(8) Matías Walker Prieto. Rechtsanwalt und Mitglied der Demokratischen Partei. Er ist aktuell Senator für die Region Coquimbo und war drei Legislaturperioden lang Abgeordneter in derselben Region.
(9) Sergio Gahona. Mitglied der Independent Democratic Union (UDI), einer rechten konservativen Partei. Er ist aktuell Mitglied der Abgeordnetenkammer und vertritt seit vielen Jahren die Interessen der Bergbauunternehmen Compañía Minera del Pacífico (CMP) und Andes Iron.