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Fürs Überleben - Forschung und Schutz besser verknüpfen und intensivieren!

Landau 10. August 2025. Seit 2021 führt ein Forscherteam um Dr. Alejandro Simeone (1) im Auftrag von Sphenisco Untersuchungen zum Bestand, Bruterfolg und zur Nahrungssuche des Humboldt Pinguins in Chile durch. Gefördert wird das Projekt von der Artenschutz-Stiftung Zoo Karlsruhe, dem Zoo Dresden und vom Förderverein Tierpark Hagenbeck. Auf diesen Seiten wurde wiederholt über das mehrjährige Projekt berichtet. (2)

Die Population der Humboldt Pinguine wurde in den beiden vergangenen Jahren durch zwei Naturereignisse in bisher ungeklärten Ausmaß reduziert. 2023 erreichte die hochpathogene Vogelgrippe H5N1 Südamerika und führte zu massenhaftem Sterben bei in Kolonien brütenden Seevögeln wie Möwen, Pelikanen und Kormoranen www.sag.gob.cl/ia. Da keine zuverlässigen Erhebungen durchgeführt wurden, blieb unklar, in welchem Umfang Humboldt Pinguine durch die Vogelgrippe reduziert wurden. Der El Niño 2023/2024 gehört zu den stärksten seit Beginn der Aufzeichnungen (3). Wegen fehlender Nahrung brüteten die Humboldt Pinguine 2023 und 2024 in großen Teilen des Verbreitungsgebietes nicht. Das behinderte auch die Forschungsarbeiten zu Bestand, Bruterfolg und Nahrungssuche erheblich. So mussten Feldarbeiten auf der Insel Choros, die 2022 begonnen hatten, fast zwei Jahre lang unterbrochen werden. Da auch im Süd-Sommer (November/Dezember) 2024 die Brutaktivität auf Choros ausblieb, mussten die Forschungsarbeiten weiter südlich zur Insel Cachagua verlagert werden.

Im Juni 2025 konnte Thomas Mattern (Universität Otago, Neuseeland) gemeinsam mit chilenischen Forschern die Untersuchungen endlich fortsetzen. Über Ergebnisse und neue Fragen berichtet Thomas Mattern in einem Feldbericht (4) (s. PDF-Datei „Humboldt-Pinguin Forschung, Chile, Juni_Juli 2025 (PDF, 12 MB)“). Der Forscher schließt seinen Report mit der eindringlichen Forderung: „Wir müssen Forschung, Schutz und politischen Dialog stärker miteinander verknüpfen – bevor der Humboldt Pinguin zum nächsten Symbol einer verpassten Chance im Artenschutz wird.“

Feldbericht „Humboldt Pinguin Forschung, Chile, Herbst/Winter 2025“ (Auszüge)

„Die Feldarbeiten im Juni und Juli 2025 haben wertvolle Einblicke in das Verhalten von Humboldt Pinguinen auf See in Chile geliefert. Auch wenn eine detaillierte Analyse - insbesondere im Hinblick auf das Verhalten in der kommenden Brutzeit im Frühling / Sommer (November-Dezember 2025) - noch aussteht, lassen sich bereits einige vorläufige Schlüsse ziehen:

Nahrungssuche und Lebensraumnutzung

Humboldt Pinguine von Islote Pájaros Niños und Isla Cachagua zeigen ähnliche Verhaltensmuster auf See.
1. Sie bewegen sich überwiegend in südlicher Richtung und suchen
2. bevorzugt in Gebieten nach Nahrung, in denen die Fischereiaktivität offenbar reduziert ist – möglicherweise aufgrund von Verschmutzung (z. B. Mündung des Río Maipo) oder Schiffsverkehr (Quintero, Valparaíso).

Regionale Unterschiede im Zustand der Population

Die südlichen Kolonien scheinen sich in einem besseren Zustand zu befinden als die nördlichen.
1. Die Zahl der Brutpaare auf Islote Pájaros Niños und Isla Cachagua nähert sich wieder dem Normalzustand.
2. Auf Isla Choros wurden hingegen nur sehr wenige aktive Nester gefunden.
3. Die Quote der Nestaufgabe scheint auf Isla Choros deutlich höher zu sein – trotz ähnlicher Regenereignisse wie im Süden.
4. Der Jahreszyklus der Pinguine auf Isla Choros ist deutlich verschoben: verspätete Mauser, verspätete Brut – Hinweise auf anhaltend schlechte Umweltbedingungen.

Neue Fragen

Wie so oft liefern die gesammelten Daten nicht nur neue Erkenntnisse, sondern werfen auch neue Fragen auf:
1. Inwieweit wird das Nahrungssuchverhalten von Humboldt Pinguinen durch Aktivitäten der Fischerei beeinflusst? Meiden die Tiere aktiv stark befischte Gebiete, selbst wenn diese mit anderen Risiken wie Verschmutzung oder Schiffsverkehr einhergehen?

2. Warum geht es den südlichen Kolonien offenbar besser als den nördlichen? Haben El Niño und die Fischerei (Ressourcenkonkurrenz, Beifang) gemeinsam zur Verschlechterung des marinen Lebensraums im Norden geführt?

3. Hat dies Auswirkungen auf das Überleben der Jungtiere?
Bei anderen gebänderten Pinguinarten wandern flügge gewordene Jungvögel nach Norden. Im Fall des Brillenpinguins wurde dabei eine sogenannte „ökologische Falle“ dokumentiert: Die Jungtiere wandern nach Namibia, wo die Überfischung zum Zusammenbruch der Fischbestände geführt hat – mit massiver Jungvogelsterblichkeit.
Fotos von Tourguides aus Punta de Choros deuten darauf hin, dass im Februar 2025 der Großteil der mausernden Vögel auf Isla Choros Jungtiere waren – möglicherweise ein Hinweis auf ein ähnliches Phänomen?

4. Angesichts der beobachteten küstennahen Nahrungssuche: Wie verhält es sich bei Pinguinen, die auf Offshore-Inseln wie Islas Pájaros brüten?

Diese Fragen sollten zeitnah untersucht werden - insbesondere, wenn die nördlichen Populationen auch in den kommenden Brutperioden keine deutlichen Erholungstendenzen zeigen. In diesem Fall könnte eine Neubewertung des Status der Art auf der Roten Liste - IUCN notwendig werden - von derzeit „gefährdet (vulnerable)“ zu „stark gefährdet ( endangered)“.

Nächste Schritte - Was getan werden muss

1. Untersuchung von Nahrungssuchverhalten und Nahrungszusammensetzung während der Brutzeit im Frühling/Sommer (November/Dezember) mithilfe von GPS- und Kameraloggern, insbesondere auf Isla Cachagua und Islote Pájaros Niños. (5)

2. Analyse möglicher Umweltkontamination bei Pinguinen von Islote Pájaros Niños mittels Feder- und Blutproben. (6) (7)

3. Durchführung von Mauserzählungen mit Drohnen an zentralen Standorten im gesamten Verbreitungsgebiet: Islote Pájaros Niños, Isla Cachagua, Isla Tilgo, Isla Choros, Isla Chañaral, Pan de Azúcar. (8)

4. Erforschung des Nahrungssuchverhaltens auf Offshore-Inseln, insbesondere Islas Pájaros. (5)

5. Untersuchung der Dispersion (Zerstreuungswanderungen) von Jungvögeln, z.B. mittels GSM-Loggern, die über das Mobilfunknetz Positionsdaten übertragen.

6. Fortsetzung langfristiger Studien zum Nahrungssuchverhalten an Schlüsselstandorten, um zu klären, ob die beobachteten Muster stabil sind.

7. Erstellen und Verteilen eines illustrierten Flyers mit Informationen für Fischer zum sicheren Befreien von Pinguinen aus Stellnetzen.

Ausblick
Die bisherigen Daten unterstreichen, wie verletzlich marine Top-Prädatoren wie der Humboldt Pinguin gegenüber sich überlagernden Umweltbelastungen sind – vom Klimawandel über Überfischung bis hin zu lokaler Verschmutzung. Wenn sich die negative Entwicklung im Norden fortsetzt, könnte das nicht nur den regionalen Bestand gefährden, sondern auch eine Neubewertung des Schutzstatus auf internationaler Ebene erforderlich machen. Wir müssen Forschung, Schutz und politischen Dialog stärker miteinander verknüpfen – bevor der Humboldt Pinguin zum nächsten Symbol einer verpassten Chance im Artenschutz wird.“ (4)

W.K.

Anmerkungen

Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Die im Beitrag verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.
(1) Die Forschergruppe besteht aus Dr. Alejandro Simeone, Universität Andrés Bello, Santiago; Dr. Guillermo Luna, Universität Católica del Norte, Coquimbo; Dr. Thomas Mattern sowie Dr. Ursula Ellenberg, Universität von Otago, Neuseeland.
(2) Berichte auf der Internetseite: „Projekte Chile“ 4. Juni 2021, 28. November 2021, 18. April 2022, 22. Juli 2022, 23. Juli 2023, 1. Januar 2023, 9. Juli 2023, 23. November 2023 und 24. Februar 2025.
(3) El Niño 2023/2024. Laut Thomas Mattern waren zwar keine Spitzenwerte bei den Wassertemperaturen zu verzeichnen, der El Niño dauerte aber sehr lang, war sehr großflächig und scheint bekannte Charakteristika einzubüßen.
(4) Feldbericht „Humboldt-Pinguin Forschung, Chile, Herbst/Winter 2025“, Juli 2025.
(5) Pers. Mitteilung der Forscher: Es sind auch Untersuchungen auf den Inseln Tilgo, Choros und Pajeros (Offshore-Insel) angedacht.
(6) Pers. Mitteilung Dr. Alejandro Simeone: Um Vergleichsdaten zu erhalten, plant der Forscher auf vielen Inseln Federproben zu nehmen. Bei der geplanten Ausstattung der Humboldt Pinguine mit GPS- und Kameraloggern könnte dies mit geringem Aufwand gleichzeitig geschehen.
(7) Untersuchung zur Kontaminationen von Humboldt Pinguinen bei den Inseln Chañaral und Pan des Azucar.
Kolawole E. Adesina, Winfred Espejo, José E. Celis, Marco Sandoval, Aaron J. Specht. First report of metals and metalloids on bone and claw tissues of Humboldt penguins (Spheniscus humboldti). Austral Journal of Veterinary Sciences, 56, 2024.
(8) Pers. Mitteilung der Forscher: Die Untersuchungen sind bereits verbindlich geplant und werden von Paulina Arce und Maximiliano Daigre durchgeführt.

 

Hinweis

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