Landau 02. Februar 2025
Zensus der Mauserpopulation
Seit über 20 Jahren zählt die NGO Acorema den Bestand der Humboldt Pinguine während der Mauser an den wichtigsten Nistplätzen in Peru. Im Oktober 2024 hat die NGO dem „Nationalen Dienst für staatlich geschützte Naturgebiete (SERNANP)“ und dem „Nationalen Reservatssystem für Inseln, Inselchen und Guanoinseln (RNSIIPG)“ über die Zählung während der Mauser Anfang 2024 berichtet (1). Die Autoren fassen die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „Die jährliche Zählung des Humboldt-Pinguins (Spheniscus humboldti) wurde zwischen dem 14. und 27. Januar 2024 an 40 Plätzen entlang der peruanischen Küste durchgeführt. Ziel war es, die Evaluation der Populationsentwicklung der bedrohten Art fortzusetzen. Die Untersuchung fand während der Mauserzeit statt und wurde entsprechend den Empfehlungen des Workshops über Populations- und Lebensraumqualität des Humboldt-Pinguins 1998 durchgeführt. Die Anzahl der gezählten Pinguine betrug 5.035. Dies entspricht einem Rückgang von 70 % gegenüber den Werten von 2022 (von 15.663 zu 5.035 Pinguinen), wenn man die Plätze vergleicht, die in beiden Jahren gezählt wurden. Die meisten Humboldt-Pinguine wurden auf der Insel San Lorenzo (580), der Insel Macabí (538), der Inselgruppe San Juanito-Nordinsel-Kleine Insel (497), der Insel Pachacamac (405) und der Insel Pescadores (338) gezählt. Zum ersten Mal seit Beginn dieser Erhebungen im Jahr 1999 gehört Punta San Juan nicht zu den Orten mit den größten Kolonien. Im Jahr 2024 wurden dort nur 270 Pinguine gezählt. Die Zahl der Pinguine auf der Insel Santa Rosa (48) war nach wie vor gering und hat seit 2014, als sie mit 4.939 Pinguinen ihren Höchststand erreichte, einen alarmierenden Rückgang erfahren. Der Einsatz von Drohnen ist weiterhin wichtig, um die direkten Zählungen der Zählungsteams zu ergänzen.
Im Jahr 2024 waren die ozeanografischen Bedingungen vom El Niño (2) geprägt. Die erhöhten Temperaturen könnten zusammen mit dem Ausbruch der Vogelgrippe im Jahr 2023 zu den sehr niedrigen Bestandszahlen beigetragen haben. Dehalb ist es auch in Zukunftist wichtig, die Erhebungen entlang der Küste fortzusetzen, um Populationstrends und den Erhaltungszustand zu überwachen. Die Bestände der Humboldt Pinguine sollten allerdings nicht nur im Zusammenhang mit den durch El Niño verursachten hohen Temperaturen bewertet werden, sondern auch hinsichtlich der jährlichen Anlandungen der Fischerei sowie der Entwicklung menschlicher Aktivitäten in der Nähe der Kolonien.“
Die Autoren heben hervor, dass der Rückgang alle 36 bzw. 41 Nistplätze betrifft. Ausnahmen bildeten lediglich Puerto Inka (3 zu 3), das Inselzentrum Ballestas (Anstieg von 7 auf 85 Vögel) und das Inselzentrum Chinca (Anstieg von 8 auf 10 Individuen). Die Forscher weisen auch darauf hin, dass die Zahlen keine nennenswerten Verschiebungen zwischen den Brutinseln entlang der peruanischen Küste erkennen lassen.
Den starken Rückgang bewerten die Forscher folgerdermaßen: „In den 26 Jahren, in denen standardisierte Zählungen während der Mauser durchgeführt wurden, schwankte die Zahl der Humboldt Pinguine in Peru zwischen 2.000 und 20.000 (McGill et al., 2004, 2013; McGill, unveröffentlichte Daten). Diese Schwankungen bei den Gesamtzahlen sind sowohl auf biologische als auch auf methodische Gründe zurückzuführen.“
In den Schlußfolgerungen gehen die Autoren auf Störungen sowie die Bedeutung von Schutzgebieten ein:
„2. Seit den Erhebungen 2016 wurden zahlreiche Aktivitäten beobachtet, die Pinguine stören oder schädigen. An mehreren Plätzen wurde die Anwesenheit von Kajaks, Badegästen oder Menschen, die am Strand zelten, registriert.
Auf der Insel Asia ist das Problem besonders groß. Dort wurden viele Personen in Kajaks und Badegäste dabei beobachtet, wie sie auf Gruppen von Pinguinen zufuhren bzw. zuschwammen. Die Vögel reagierten, indem sie schnell auf Klippen kletterten und sich zerstreuten.
Während der Untersuchung auf Homillos (Spitze und Insel) wurden vom Ufer aus kleine Fischerboote, Kajaks und Menschen beim Fischen in der Nähe von Pinguingruppen beobachtet. Später stellte sich heraus, dass die Kajakfahrer von Honoratos kamen, wo am Strand Campingplätze eingerichtet worden waren. Auf Honoratos gibt es seit Mitte der 1990-iger Jahre keine Humboldt-Pinguine mehr.
Im Jahr 2017 wurden Fischer auf den Inseln in Farallones und San Francisco beobachtet. Die Zahl der Pinguine war dort besonders gering.
Ebenfalls im Jahr 2017 und seitdem mehrfach wurden an zwei Stellen der Küste von Ocoña Fischernetze registriert, die an den Klippen hingen.
Allgemein haben seit 2000 menschliche Aktivität in der Nähe der Kolonien durch den Autobahnanschluss zugenommen.
3. Die Bedeutung von Schutzgebieten, Guano-Inseln und -Punkten sowie einiger anderer Gebiete darf nicht übersehen werden. Wie bereits erwähnt, konzentrierten sich 2014 - dem Jahr, in dem die Pinguinbestände ihren Höchststand erreichten - 87 % der Pinguine in Schutzgebieten, im Jahr 2024 sind es 91 %. Innerhalb von nur 1-3 Jahren können in Gebieten ohne gesetzlichen Schutz oder mit stark eingeschränktem Zugang die Anzahl der Pinguine von 500 oder mehr gegen Null sinken. Insgesamt kann die gefundene Varianz an den ungeschützten Standorten bis zu 15-20 % der Population betragen. Da geschützte Gebiete sehr wichtig für die Population sind, müssen ungeschützte Orte wenigstens überwacht werden.“
Wie ist der starke Rückgang einzuordnen?
Die Forscher Dr. Ursula Ellenberg (Neuseeland) (3) und Dr. Guillermo Luna-Jorquera (Chile) (3) warnen vor voreiligen Schlüssen und weisen darauf hin, dass
1. Humboldt Pinguine in schlechter Kondition möglicherweise die Mauser verschieben bis sie wieder ausreichend fit sind, um erfolgreich zu mausern, und dass sie
2. bei El Niño hunderte von Kilometern nach Süden ausweichen, um bessere Jagdbedingungen in kühleren Gewässern zu finden. Sie könnten dann – wenn sie zunächst nicht mausern - dies an ungestörten Orten weiter im Süden tun (4). Entsprechende Beobachtungen sind leider nicht bekannt.
Es darf also angenommen werden, dass bei der Zählung Anfang 2024 nicht alle Vögel erfasst wurden, da sie nicht gemausert haben und / oder in kalte Gewässer ausgewichen sind. Die Verluste wären dann geringer. Bei einem „mittlerem Optimismus“ der Verluste von 30% statt 70% zählte die peruanische Population dann 10.964 statt der ermittelten 5.035 Individueen.
Bezüglich der anderen Gefahrenquelle, der Vogelgrippe, weist Dr. Ursula Ellenberg darauf hin, dass andere Pinguinarten, die dichter als Humboldt Pinguine brüten, sich als relativ wenig anfällig für Vogelgrippe erwiesen hätten. Sie gibt zudem zu bedenken, dass der Zeitpunkt des letzten El Niño möglicherweise als "Glücksfall" bewertet werden kann. Da die meisten Pinguine nicht brüteten, reduzierte sich auch das Risiko, sich mit Vogelgrippe zu infizieren. So habe die Forschergruppe von Dr. Alejandro Simeone bei der Feldarbeit im November 2023 keinen einzigen Pinguin mit Zeichen bzw. Symptomen von Vogelgrippe beobachtet (4).
Forscher in Chile und Neuseeland (3) sind besorgt über die aktuelle Entwicklung der Population, betonen aber, viele Fragen zum Bestand und zur Dezimierung seien offen und es sei nicht sicher, wie stark der Bestand der Humboldt Pinguine aktuell tatsächlich reduziert wurde. In dieser kritischen Situation empfehlen sie, neue Zählungen bei besserem Nahrungsangebot in Chile und Peru durchzuführen. Das wollen Dr. Alejandro Simeone (5) und Dr. Carlos Zavalaga (6) kurzfristig bereits in der nächsten Brutperiode realisieren. Sie planen auf allen wichtigen chilenischen und peruanischen Brutinseln im April und Mai die Brutpaare zu zählen. Mit dieser zeitlich und methodisch abgestimmten Erhebung würde zum ersten Mal der Bestand von Brutpaaren der gesamten Population ermittelt.
Die Humboldt Pinguine haben sich über Jahrtausende an die extremen Bedingungen von El Niño und der Südlichen Oszillation (ENSO) (2) angepasst. Durch Überfischung, Beifang, Umweltverschmutzung (u.a. dem Nachweis von Schwermetallen in Knochen und Krallen) und jetzt erschwerend durch den Klimawandel wurde die Überlebensstrategie von Humboldt Pinguinen aus der Balance gebracht.
Leider ist angesichts der starken Verluste in den letzten beiden Jahren nicht auszuschließen, dass sich die Gefahr des Aussterbens erheblich verschärft hat und die Gefährdungsstufe u.U. von „gefährdet“ (vulnerable) auf „stark gefährdet“ (endangered) oder gar auf „vom Aussterben bedroht (Critically Endangered) korrigiert werden muss.
W.K.
Anm.
(1) Acorema. Oktober 2024. Informe final del estudio: Censo de pingüino de Humboldt enprincipales sitios de Perú. 2024 (dt. Abschlussbericht der Studie: Zählung der Humboldt Pinguine an den wichtigsten peruanischen Standorten. 2024.
(2) El Niño und die Southern Oscillation (ENSO) beschreiben ein komplex gekoppeltes Zirkulationssystem von Erdatmosphäre und Meeresströmung im äquatorialen Pazifik. El Niño steht dabei eher für die ozeanischen Zusammenhänge, während die Südliche Oszillation für die atmosphärischen Zusammenhänge steht.
(3) Chilenische und neuseeländische Forscher
- Dr. Alejandro Simeone, Meeresbiologe, lehrt und forscht an der Fakultät für Biowissenschaften der Universität Andrés Bello in Santiago, Chile.
- Dr. Guillermo Luna-Jorquera, Meeresbiologe, lehrt und forscht an der Universiät Católica del Norte, Zentrum für Ökologie und nachhaltiges Management der Ozeaninseln in Coquimbo, Chile. - Dr. Ursula Ellenberg, Ökologin mit Erfahrungen in terrestrischen und marinen Systemen, lehrt und forscht an der Universität Otago, Dunedin, Neuseeland.
- Dr. Thomas Mattern, Meeresbiologe mit dem Schwerpunkt auf Verhaltungsforschung von Pinguinen und anderen Meeresvögeln, lehrt und forscht an der Universität Otago, Dunedin, Neuseeland.
(4) persönliche Mitteilungen 2024 von Dr. Ursula Ellenberg und Dr. Guillermo Luna-Jorquera.
(5) Die Erhebung ist Teil des von Sphenisco finanzierten Forschungsprojektes „Entschlüsselung der Populationsgröße und des Futtersuchverhaltens der chilenischen Humboldt Pinguine“.
(6) Dr. Carlos Zavalaga, wissenschaftliche Universität des Südens, Forschungseinheit für Meeresökosysteme, Gruppe Meeresvögel, Lima, Peru.