Projekte in Chile

El Niño und Bestand der Humboldt Pinguine

Landau 24. Februar 2025

Vorbemerkung

Seit 2021 führt ein Forscherteam um Dr. Alejandro Simeone (1) im Auftrag von Sphenisco Untersuchungen zum Bestand, Bruterfolg und zur Nahrungssuche des Humboldt Pinguins in Chile durch. Gefördert wird das Forschungsprojekt von der Artenschutz-Stiftung Zoo Karlsruhe, dem Zoo Dresden und vom Verein der Freunde des Tierparks Hagenbeck e.V. (siehe „Projekte Chile“ 4. Juni 2021, 28. November 2021, 18. April 2022, 22. Juli 2022, 23. Juli 2023, 1. Januar 2023, 9. Juli 2023 und 23. November 2023 auf diesen Seiten). Im Dezember 2024 sprach Nancy Duman von Sphenisco-Chile mit Guillermo Luna-Joquera (Katholische Universität des Nordens, Coquimbo, Chile) über die Auswirkungen von Vogelgrippe und El Niño auf die Entwicklung der Population des Humboldt Pinguins. Das Interview wurde für die Dokumentation „vor Ort – Artenschutz und zoologische Gärten“ von DigitalPRO Audiovisual & Comunicaciones aus La Serena aufgezeichnet.

Interview mit Dr. Guillermo Luna-Joquera

Nancy Duman

Seit 2022 finanziert Sphenisco ein 6-jähriges Forschungsprojekt. Geleitet wird das Projekt von deinem Kollegen Dr. Alejandro Simeone von der Universität Andres Bello in Santiago. Wie du weißt, sind auch die neuseeländischen Forscher Dr. Ursula Ellenberg und Dr. Thomas Mattern beteiligt. Du lehrst und forscht an der Katholischen Universität des Nordens in Coquimbo und untersuchst in dem Projekt den Bruterfolg. Was sind die Ziele des Forschungsprojektes?

Guillermo Luna

Das Projekt umfasst 3 Bereiche, die miteinander verbunden sind und sich gegenseitig ergänzen. Eines der Arbeitsgebiete besteht darin, den Fortpflanzungserfolg in den wichtigsten chilenischen Kolonien zu untersuchen. Es gibt einige Kolonien, die wichtiger sind als andere. Wir untersuchen deshalb nicht alle im ganzen Land, sondern nur die wichtigsten, die im Zentrum und Norden Chiles liegen. Ein Arbeitsgebiet ist also die Erfassung der Brutpopulation in den wichtigsten Kolonien Chiles. Ein anderes Arbeitsgebiet ist die Überwachung der Fortpflanzungsaktivität der Pinguine. Die untersuchen wir ebenfalls in den Kolonien der Inseln Choros und Chañaral, die derzeit die wichtigsten Kolonien in Chile sind. Die Insel Cachagua ist ebenfalls wichtig, aber wir haben uns entschieden, den Bruterfolg in den beiden Kolonien Choros und Chañaral zu überwachen. Dabei verfolgen wir die Entwicklung der Aktivitäten bei der Fortpflanzung: Von der Ankunft der Tiere, dem Legen der Eier und dem Schlüpfen der Küken. Wir verfolgen die Entwicklung der Küken weiter bis sie flügge werden und schließlich ins Meer gehen. Der Fortpflanzungserfolg ist wichtig, weil er zusammen mit der Erfassung der Anzahl der Brutpaare entscheidend ist. Bei der Population einer Art ist die Brutpopulation, also die Tiere, die sich fortpflanzen, am wichtigsten, um festzustellen wie viele Nachkommen die Brutpaare jährlich hervorbringen. Beide Forschungsbereiche sind eng verbunden und wir arbeiten kontinuierlich daran, die Größenordnung der Fortpflanzung in Chile zu ermitteln.

Ein weiteres Forschungsgebiet, das ebenfalls mit den zuvor genannten verbunden ist, betrifft die Nahrungssuche. Dabei untersuchen wir das Verhalten der Tiere, die sich fortpflanzen. Wir statten sie mit verschiedenen Technologien aus, um das Verhalten bei der Nahrungssuche zu erfassen. Wohin sie zum Fressen schwimmen, wie viel Zeit sie im Meer verbringen und in welche Tiefe sie tauchen. Diese Forschung steht auch in Verbindung mit einer Doktorarbeit, die durch ein Stipendium von Sphenisco finanziert wird. Eine Studentin wertet diese Daten aus und ermittelt den energetischen Aufwand der Tiere im Meer.

Nancy Duman

Warum ist das wichtig?

Guillermo Luna

Weil es uns Hinweise auf die ozeanografischen Bedingungen gibt. Die Tiere gehen ins Meer, und wenn genügend Nahrung vorhanden ist, kehren sie schnell zurück. Der Aufwand für die Nahrungssuche ist dann gering. Im extremen Fall, wenn wenig Nahrung im Meer vorhanden ist, müssen die Pinguine mehr Zeit im Meer verbringen und mehr „Arbeit“ investieren, um Nahrung für sich selbst und ihre Küken zum Nest zu bringen. Diese Studie ermöglicht es uns daher, den Einfluss ozeanografischer Bedingungen bezüglich des Aufwandes der Nahrungssuche und letztlich die Menge an Nahrung zu untersuchen, die die Pinguine ihren Küken ins Nest bringen können.

Nancy Duman

Wie viele Brutpaare gibt es aktuell in Chile?

Guillermo Luna

Es ist schwierig, das zu sagen. Aber ich habe hier einige Daten, die ich mitteilen kann.

Zwischen 2022 und 2023, also vor der Vogelgrippe und vor dem El Niño, haben wir in Chile insgesamt 2.500 Paare gezählt, also etwa 5.200 Tiere, wenn man die Paare verdoppelt. Die meisten von ihnen befanden sich auf der Insel Cachagua und der Insel Tilgo. Auf Cachagua gab es etwa 730 Paare und auf Tilgo etwa 570. Auf der Insel Choros waren es nur 380 Paare, aber sie hatten eine sehr hohe Fortpflanzungsrate. Fast alle dieser 380 Paare brachten durchschnittlich 1,5 Küken pro Paar hervor, was ziemlich gut ist. Als wir jedoch Ende Oktober und Anfang November 2024 erneut zählten, waren die Zahlen deutlich niedriger. Die Brutpopulation ist in den letzten Brutperioden deutlich zurückgegangen. Zum Beispiel gab es auf der Insel Chañaral nur vier Brutpaare, und von diesen vier Paaren brachte nur eines ein Küken hervor. Hier die neuesten Daten, die wir haben: ein Küken auf Chañaral. Auf der Insel Pan de Azúcar waren es 20 Paare, auf der Insel Pájaro Niño acht, auf Isla Grande ebenfalls acht. Auf Cachagua und Tilgo gab es etwa insgesamt 270 Brutpaare, was extrem niedrig ist.

Nancy Duman

Was glaubst du, sind die Ursachen für diese Entwicklung?

Guillermo Luna

Die Gründe, warum sich die Pinguine in diesem und auch im letzten Jahr nicht fortgepflanzt haben, sind schwer zu identifizieren. Es ist schwierig, eine abschließende Antwort zu geben. Aber man kann sagen, dass in dem Jahr, in dem ein El Niño auftrat und gleichzeitig die Vogelgrippe ausbrach, beide Faktoren zusammengewirkt haben könnten, um das Brutverhalten der Brutpaare zu beeinträchtigen. Es ist jedoch nicht einfach, beide Ereignisse voneinander zu trennen. Was wir sagen können, ist, dass während des Ausbruchs der Vogelgrippe hier in Coquimbo etwa 1.800 Tiere an den Stränden tot aufgefunden wurden. Von diesen wurden nur sehr wenige untersucht, und von den untersuchten Tieren wurden nur vier positiv auf Vogelgrippe getestet. Das bedeutet, wir können nicht sagen, dass alle aufgrund der Vogelgrippe gestorben sind. Es ist möglich, dass viele dieser Tiere auch aufgrund von Interaktionen mit der Fischerei (Anm. Hinweis auf mögliche Opfer durch Beifang) gestorben sind. Aber wir hatten nicht die Möglichkeit, alle Tiere genauer zu untersuchen, um die Ursache festzustellen. Im fraglichen Zeitraum gab es praktisch keine Anlandungen von Sardellen hier in der Region Coquimbo. Das bedeutet, dass keine Nahrung vorhanden war. Die wahrscheinlichste Ursache für den Rückgang war also El Niño, obwohl dieser laut Experten als mild bis moderat eingestuft wurde. Es gab keine Sardellen, aber andere Arten im Ökosystem „Humboldt-Strom“, wie die Junko-Sturmvögel, haben sich erfolgreich vermehrt. Das bedeutet, dass dieses milde El Niño-Ereignis nur einige Arten wie die Pinguine oder auch die Blaufußtölpel betraf, die sich nicht vermehrt haben.

Nancy Duman

Führt der Ausfall der Fortpflanzung in Verbindung mit der Vogelgrippe zu einem Szenario, dass für diese Arten katastrophal ist?

Guillermo Luna

Ich wäre vorsichtig und würde nicht von einer Katastrophe für die Humboldt Pinguine sprechen, denn wir haben noch nicht alle notwendigen Informationen, um die Komplexität ihrer Fortpflanzungszyklen vollständig zu verstehen. Wir erwarten, dass sich die Tiere im nächsten Jahr wieder fortpflanzen werden, wie sie es normalerweise nach einem El Niño-Ereignis tun. Während eines El Niño-Ereignisses gehen die Pinguine ins Meer, um Nahrung zu suchen und kehren zurück, wenn sich die Bedingungen verbessern.

Nancy Duman

Müssen wir den Schutzstatus (Anm. aktueller Status „gefährdet“) des Humboldt Pinguins neu bewerten?

Guillermo Luna

Neu-Einstufungen werden normalerweise von einem Expertenpanel durchgeführt, das viele Informationen zusammenführt. Ich bin jedoch der Meinung, dass solche Überarbeitungen in größeren Abständen stattfinden sollten, denn Populationen sind nicht statisch, sie sind dynamisch. Ich denke, es ist zu früh, um den Pinguin von “gefährdet” auf “stark gefährdet” hochzustufen. Das bedeutet nicht, dass wir uns nicht um die Art kümmern sollten. Ein Schutzstatus wie “gefährdet” oder “stark gefährdet” hilft,

Schutzmaßnahmen zu erweitern. Zum Beispiel könnten wir Schutzzonen um die wichtigsten Kolonien schaffen, um sicherzustellen, dass in diesen Zonen genügend Nahrung vorhanden ist, damit die Pinguine Nahrung finden und sich erfolgreich fortpflanzen können. Das mag wie ein Wunschtraum erscheinen, aber es ist eine Möglichkeit, die man in Betracht ziehen sollte. Wenn wir den Bruterfolg unter den aktuellen Bedingungen analysieren, können wir besser verstehen, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Population zu unterstützen.

Nancy Duman

Können wir unter den derzeitigen Bedingungen trotz Auswirkungen des El Niño den Fortpflanzungserfolg wie geplant analysieren?

Guillermo Luna

Ja, es ist möglich, den Fortpflanzungserfolg zu analysieren, aber wir benötigen weitere Daten aus mehreren Jahren, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Nachdem wir 2022 mit der Untersuchung begonnen haben, traten El Niño und Vogelgrippe auf, das machte es schwierig, den Fortpflanzungserfolg über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Was wir aus den Untersuchungen von 2022 ableiten konnten, ist, dass die Insel Choros ein außergewöhnlicher Ort für die Fortpflanzung der Humboldt Pinguine ist. Obwohl die Anzahl der Brutpaare relativ gering war, war der Fortpflanzungserfolg sehr hoch, gemessen an der Anzahl der Küken, die flügge wurden und ins Meer gingen. Das zeigt, wie wichtig diese Insel ist. Die erwachsenen Tiere können ihre Küken ernähren, weil die Gewässer um die Insel reich an Nahrung sind und das Gebiet geschützt ist, ohne menschliche Störungen. Das ist entscheidend für den Fortpflanzungserfolg.

Nancy Duman

Gibt es Hinweise, dass der Schutz solcher Gebiete die natürliche Überlebensfähigkeit der Pinguine gewährleistet?

Guillermo Luna

Ja, ich bin davon überzeugt. Ich arbeite seit vielen Jahren auf dieser Insel, und unsere Studien zeigen, dass der Schutz von Inseln wie Choros, Chañaral und Tilgo es den Pinguinen, aber auch anderen Meeresvögeln wie Sturmvögeln und Tölpeln ermöglicht,

sich erfolgreich fortzupflanzen. Die nahrungsreichen Gewässer um diese Inseln und die Schutzmaßnahmen, die es dort gibt, haben einen äußerst positiven Einfluss auf die Populationen von Meeresvögeln. Ich bin überzeugt, dass der Schutz dieser Inseln das Überleben der Humboldt Pinguine sichert.

Wir danken Sphenisco und den Zoos, die die Finanzierung der genannten Studien ermöglichen. Das Monitoring der Populationen ist absolut notwendig, um Schutzmaßnahmen zu entwickeln und deren Effektivität zu überprüfen. Dank der Finanzierung können wir über einen längeren Zeitraum Daten sammeln und verstehen, wie die Pinguine auf Veränderungen der Umwelt reagieren. Das wäre ohne die Unterstützung von Sphenisco nicht möglich. In diesem Zusammenhang möchte ich Gabriele Knauf würdigen. Sie hat vor vielen Jahren, als ich noch Doktorand war, Sphenisco ins Leben gerufen, und der Verein hat diese umfangreiche Forschung erst möglich gemacht. Die Forschung zeigt, dass jede Insel im Humboldt Archipel eine einzigartige ökologische Zusammensetzung hat. Deshalb können wir nur durch sorgfältiges Monitoring herausfinden, welche Rolle jede einzelne Insel dabei spielt. Die Daten, die wir sammeln, geben uns entscheidende Einblicke in die ökologischen Bedürfnisse und Herausforderungen der Pinguine.

Dank der laufenden Studien können wir den Schutz der Pinguine verbessern und langfristige Lösungen entwickeln. Es ist wichtig, diese Forschung fortzusetzen, um sicherzustellen, dass die Humboldt Pinguine nicht nur überleben, sondern auch in einer sich verändernden Umwelt gedeihen können. Die Kombination aus Schutzmaßnahmen, wissenschaftlicher Forschung und die Information der Öffentlichkeit ist der Schlüssel, um die Zukunft dieser faszinierenden Tiere zu sichern.

Nancy Duman

Vielen Dank für das Gespräch, die interessanten Informationen und Gedanken.

W.K.

Anm.

(1) Die Forschergruppe um Dr. Alejandro Simeone von der Universität Andrés Bello, Santiago besteht aus Dr. Guillermo Luna von der Universität Católica del Norte, Coquimbo, Dr. Thomas Mattern sowie Dr. Ursula Ellenberg, beide NZ Penguin Initiative, Universität von Otago.

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