Projekte in Chile

Warten auf eine Entscheidung

Landau 25. April 2021.

Man weiß nicht ob man lachen oder weinen soll. Die neue Entscheidung des Umweltgerichts Antofagasta vom 16. April 2021 in Sachen Bergbau- und Hafenprojekt „Dominga“ erinnert an absurdes Theater. Wir erinnern uns. 2017 hat die Regional-Regierung Coquimbo und das Komitee der Minister (1) das Projekt „Dominga“ abgelehnt. Gegen die Entscheidungen hat die Firma Andes Iron beim Umweltgericht Antofagasta geklagt und Recht bekommen. Umweltschützer fochten dieses Urteil Ende Februar, Anfang März 2019 vor dem obersten Gerichtshof in Santiago erfolgreich an. In seiner Begründung stellt der oberste Gerichtshof damals fest, dass die meisten Argumente der Kritiker des Projektes stichhaltig seien. Das Gericht verwies das Verfahren an den Umweltgerichtshof in Antofagasta zurück und forderte diesen auf, sich mit den tatsächlichen Bedingungen des Projektes und den fachlichen Gegenargumenten auseinanderzusetzen. Im März 2020 wurde der Streitfall also nochmals in Antofagasta verhandelt und entschieden. Veröffentlicht hat das Gericht sein Urteil aber erst jetzt am 16. April 2021. Ein ganzes Jahr später!!?? Erneut entschied das Gericht zu Gunsten von Andes Iron und ordnete eine neue Abstimmung in der regionalen Umweltbewertungs-Kommission von Coquimbo an. In einer Erklärung kritisiert Alianza Humboldt (2), der auch SPHENISCO angehört, die Entscheidung und beleuchtet die Perspektiven des Rechtsstreits.

Erklärung vom 21. April 2021

La Serena 21. April 2021. Die ALIANZA HUMBOLDT Coquimbo-Atacama wird das Humboldt-Archipel weiter gegen Bedrohungen durch Megaprojekte verteidigen.

Die Alianza Humboldt der Region Atacama und Coquimbo appelliert eindringlich an alle Bürger der Zivilgesellschaft, Einzelpersonen, Organisationen und Institutionen sich ihr anzuschließen, um das Humboldt-Archipel und sein Umland gegen die Gefahren zu verteidigen, die von solchen Projekten ausgehen.

Am Freitag, 16. April gab das Umweltgericht Antofagasta der Klage der Firma Andes Iron in der Sache Bergbau- und Hafenprojekt „Dominga“ statt. Das Gericht ordnete in seiner Entscheidung eine neue Abstimmung in der Umweltbewertungs-Kommission von Coquimbo an. Dabei räumte das Gericht gleichzeitig ein, dass das geplante Projekt schwerwiegende Probleme aufweist und die Darlegungen unzureichend sind. Diese Mängel – so das Gericht - könnten aber vom Komitee der Minister gelöst werden. Mit diesem Vorschlag überschreitet das Gericht seine Kompetenzen. Es ist nicht befugt, dem Komitee der Minister vorzuschlagen, die Mängel des Projektes „Dominga“ in Ordnung zu bringen. Seine Aufgabe ist es, die Beachtung der Umweltgesetze durchzusetzen und sicherzustellen, dass Projekte korrekt bewertet und Evaluationen nicht durch private Interessen beeinflusst werden.

Das Urteil vom 16. April erinnert einmal mehr daran, dass juristische und institutionelle Maßnahmen unzureichend sind, vor allem dann, wenn es sich um einen Vorgang handelt, in den Präsident Piñera selbst involviert ist. 2010 lehnte er das Barrancones-Projekt ab (Bau von Kohlekraftwerken) und versprach,das Humboldtarchipel, ein Naturschutzgebiet von weltweiter Bedeutung, zu schützen. Bald danach wurde bekannt, dass er bis Dezember desselben Jahres Mehrheitsgesellschafter der Firma Andes Iron war, die das Projekt Dominga betreibt. Besitzer des Unternehmens war Carlos Délano, ein Jugendfreund  Sebastián Piñeras, er wurde wegen illegaler Parteienfinanzierung zu 99 Stunden Ethikunterricht verurteilt. Es ist uns klar, dass wir im Kontext der aktuellen tiefen Krise, im Kontext von Korruption und Manipulation allein mit institutionellen Mitteln Recht nicht gegen Interessen durchsetzen können, die die Ausbeutung natürlicher Ressourcen befürworten.

Deshalb ist es notwendig, die Umweltbewegung zu mobilisieren und ihre Netzwerke zu stärken, um

  1. das wirkliche Ausmaß der sozialen und ökologischen Schäden sichtbar zu machen, die mit der Realisierung des Megaprojektes "Dominga" verbunden wären,
  2. die Mängel und die großen Fehler zu verstehen, die im Prozess der Umweltprüfung gemacht wurden, und
  3. den Schutz der Umwelt in der Verfassung sicherzustellen.

Es ist besorgniserregend, dass das Umweltgericht von Antofagasta, seine zentrale Aufgabe, nämlich dem Schutz des Naturerbes, vernachlässigt und mit seinem Urteil Partikularinteressen über das kollektive Interesse stellt. Das Gericht beschädigt damit die Institutionen und sogar das Rechtssystem in dieser Angelegenheit, wenn es die SEIA (Sistema de Evaluación de Impacto Ambiental), also das System der Umweltverträglichkeitsprüfung, seiner Aufgabe beraubt. All dies geschieht im Kontext der Klimakrise und der durch die Pandemie ausgelösten Gesundheitskrise. All dies geschieht, ohne die unzähligen Aufrufe der Wissenschaft und verschiedener internationaler Organisationen zu berücksichtigen, dem Schutz und der Pflege der verbliebenen Ökosysteme Vorrang einzuräumen gegenüber einer Wirtschaft, die auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen ausgerichtet ist und so viel Schaden für die Gemeinden, das Gebiet und die lokale Wirtschaft im Allgemeinen erzeugt. Das gilt ganz besonders in diesem Fall für ein auf der Welt EINZIGARTIGES ÖKOSYSTEM.

Über das Urteil

Das Urteil bedeutet nicht, dass das Projekt genehmigt wurde. Umweltgerichte haben weder die Befugnis noch die Kompetenz, ein Projekt unter Umweltgesichtspunkten zu genehmigen oder abzulehnen. Das ist ausschließlich Aufgabe anderer für die Umwelt zuständiger Institutionen, wie z. B. der regionalen Kommission für Umweltverträglichkeitsprüfung.

Das Gericht hat die Beschwerde der Firma Andes Iron bezüglich des Megaprojekts „Dominga“ akzeptiert und jetzt angeordnet, dass das Verfahren zur erneuten Abstimmung an die Regionalkommission zurückverwiesen wird. Dadurch eröffnet das Gericht die Möglichkeit, die Umwelt dieser Region irreversibel zu schädigen und eine neue „Opferzone“ zu schaffen.

Im völligen Widerspruch zu dieser Entscheidung, erkennt das Gericht in seinem Urteil an, dass das Projekt mit Mängeln behaftet ist, Informationsdefizite hat und zieht daraus den Schluß, die Umweltbehörde hätte stärker auf Verbesserungen des Projektes drängen müssen, um eine Ablehnung zu vermeiden. So erkennt das Gericht zum Beispiel an, dass die vom Unternehmen vorgelegte Kompensationsmaßnahme bezüglich des Humboldt-Pinguins nicht angemessen ist und sieht bei der Umweltprüfung Schwächen im Vorgehen hinsichtlich der Beeinträchtigung des Humboldt-Pinguins auf der Insel Totoralillo Norte. Trotz des offensichtlichen Mangels an Informationen und der problematischen Kompensationsmaßnahmen wird aber angeordnet, erneut über das Projekt abzustimmen.

Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft

In dem Gebiet des Humboldt-Archipels liegen die produktivsten Áreas de Manejo y Explotación de Recursos Bentónicos (AMERB) der gesamten nördlichen Zentralzone (unter Schutz stehende und von heimischen Fischern nachhaltig beerntete Zonen). Als diese wirtschaftliche Aktivität in den neunziger Jahren begann, wurden etwa 90 Tausend Einheiten geerntet, heute, mit einem nachhaltigen Management der Gebiete, sind es 800 Tausend Einheiten.

Sollte das Megaprojekt verwirklicht werden, hätte dies schwerwiegende Folgen für die lokale Wirtschaft, für nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten wie die heimische Fischerei, die Produktion von Oliven und Olivenöl, Familiengärten, Viehzucht und Tourismus. Dabei ist festzuhalten, dass der Tourismus in den letzten Jahrzehnten die stärkste Dynamik entwickelt hat und zu einem wichtigen Motor der Wirtschaft geworden ist.

Es ist ein ganz schlechtes Zeichen, wenn ein auf Ausbeutung natürlicher Ressourcen ausgerichtetes Projekt weiterverfolgt wird, während Chile sich im Prozess zu einer neuen Verfassung befindet. Einer Verfassung, die das Ziel hat, den Übergang zu einer Gesellschaft mit  einer Wirtschaft zu gewährleisten, die das Wohl der Menschen, den Schutz der Umwelt und nicht den wirtschaftlichen Nutzen in den Mittelpunkt stellt. Anscheinend wollen die Verantwortlichen im Interesse großer Konzerne alles schnell noch sichern, bevor sich die Verfassung und die Vision des Landes ändert.

Als Alianza bekräftigen wir unsere Zusage, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen und alle institutionellen Wege zu nutzen, national und international, um den Schutz des Humboldt-Archipels ohne Megaprojekte zu erreichen und so dieses Weltnaturerbe langfristig zu schützen.

Aus all diesen Gründen und in Anbetracht der Tatsache, dass Druck und Manipulation zugunsten des Projektes „Dominga“ extrem stark sind, wiederholen wir den Appell, sich der Alianza Humboldt anzuschließen, um eine starke nationale Bewegung zur Verteidigung dieses Naturschutzgebietes zu schaffen.

Die Alianza Humboldt war hellwach, reagierte unter den schwierigen Bedingungen der Pandemie sofort und ging in den Tagen nach dem Urteil in die Offensive. Die „Erklärung vom 21. April“ wurde bei Presseterminen in La Serena und Coquimbo sowie in sozialen Medien veröffentlicht. In Pt. de Choros und Choros wurde ein Autokorso organisiert. Als Sprecherin der Alianza und als unabhängige Kandidatin für die verfassungsgebende Versammlung führte Nancy Duman täglich mehrere Gespräche und Interviews mit Meinungsführern im Internet. Mitglieder wie Oceana, Fima oder die Fischer von La Higuera äußerten sich ebenfalls kritisch in den sozialen Medien und veröffentlichten eigene Erklärungen. Auch die Ärztekammer La Serena und das Nationale Beratungsgremium der Changos (indigene Gruppe) ging an die Öffentlichkeit. Mehrere Internetzeitungen griffen die kritischen Stellungnahmen auf. Die örtliche Presse, der El Dia berichtet – wie gewohnt – einseitig nur die Sicht der Firma Andes Iron und der Befürworter des Projektes „Dominga“.

Für den 3,. Mai plant die Alianza Humboldt eine Protestrallye von Chañaral über die (Küsten-) Dörfer Pt. de Choros, Los Choros, Caleta Hornos nach La Serena. Am 4. Mai wird das Bündnis, vertreten durch Oceana, beim Corte Suprema (obersten Gerichtshof) in Santiago die  Aufhebung des Gerichtsurteils beantragen.

W.K.

Anm.

(1) Minister für Bergbau, Gesundheit, Landwirtschaft, Umwelt und Wirtschaft

(2) Der Alianza Humboldt gehören 20 „größere“ Organisationen u.a. Oceana, Greenpeace, Ocean Blue,  Sea Shepherd, Fundación Terram, Fima, Defensa Ambiental IV Region, Modema, Turismo Caleta Hornos und Sphenisco an, außer diesen 67 regionale und weitere 8 überregionale Organisationen der Zivilgesellschaft

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